Der Wiener Prater – Praterleut und Praterkönige

Drei berufliche Milieus in Wien waren besonders durchlässig für »Zugereiste« – die Universität, das Burgtheater und der Prater. Hier wurden beliebte Künstler, Exoten oder Wissenschaftler durchaus auch für kurze Zeit engagiert. Unter diesen mobileren Personen war der Anteil an Protestanten hoch. Gerade weil sie wegen besonderer Fähigkeiten ins Land gerufen worden waren, spielte die rückständige religiöse Gesetzgebung Österreichs in ihren Fällen keine besondere Rolle.

Vom einstigen kaiserlichen Jagdgebiet, dem Prater, berichten bereits Quellen aus dem 12.Jahrhundert, aber allgemein bedeutsam wurde er erst, als das riesige Areal von Kaiser Joseph II. am 7. April 1766 dem Volk geöffnet wurde. »Evangelische« – u.a. fast alle Praterdynastien – versahen den Prater, der schon als Ganzes ein »Gesamtkunstwerk« war, mit Attraktionen, die heute noch Tausende Besucher hinlocken: das Riesenrad, das Schweizer-Haus und die Meierei Holzdorfer, der Toboggan und im alten Prater der »Rumpfmensch« und die »Dame ohne Unterleib«, Zauberer und Clowns, Präuschers horribles Wachsfigurenkabinett und das Münstedt-Kino.

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 175

 

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Familie SCHAAF

Schausteller, Praterunternehmer

August SCHAAF (geboren am 20.1.1821 in Leipzig/D, gestorben am 7.1.1885 in Wien) ist der Ahnherr der Praterdynastie Schaaf. Ursprünglich ein Marktfahrer ergab sich aus seiner Freundschaft mit einem Puppenspieler, dass er selbst zum reisenden Schausteller wurde. Großen Erfolg hatte er mit seiner Menagerie, weil er die Tiere nicht nur ausstellte, sondern Seelöwen, Riesenschweine und Affen auch dressierte. Er heiratete 1853 und ließ sich 1865 im Wiener Prater nieder. In seinem Panoptikum zeigte er Figuren aus Gips wie siamesische Zwillinge und Indianer, aber auch lebende Abnormitäten wie das schöne Riesenkind Emilie Folke, Riesendamen, Drillinge und Zwerge. Bald nannte man ihn den »König der Bankisten« (Inhaber eines Schaugeschäfts).

Sein Sohn Friedrich Carl SCHAAF (geboren am 21.7.1859 in Harzburg/D, gestorben am 8.9.1935 in Wien). besuchte die Evangelische Schule am Karlsplatz. Mit seinem Freund Carl Hagenbeck bereiste er Südamerika, gründete dann aber seine Familie in Wien. Er errichte viele Betriebe und war für Neuheiten zu haben: 1896 die Schaukelpferde, 1899 die erste Notenblattorgel, 1902 den elektrischen Karussellantrieb, 1908 den Winterbetrieb im Prater und das erste elektrische Autodrom. Sein 1911 erbautes 19 Meter hohes Aeroplankarussell machte gewaltigen Eindruck auf die Wiener. Hermann Leopoldi widmete diesem Wunderwerk seinen Erfolgsschlager »Schön ist so a Ringelspiel, des is a Hetz und kost’ net viel …«.

Karl Johannes SCHAAF (geboren am 7.5.1888 in Wien, gestorben am 17.7.1946 in Wien) übernahm den ständig wachsenden Betrieb nach dem Tod seines Vaters Friedrich Carl Schaaf. Er war technisch hochbegabt, dazu kamen seine menschlichen Qualitäten: Man sagte von ihm, er sei einer jener seltenen Menschen, die in jeder Lage hilfsbereit sind, ohne jemals einen Gegendienst zu beanspruchen. Als technisches Universalgenie konstruierte er immer neue Attraktionen. Trotz des Krieges und nachdem die SS den Prater in den letzten Kriegstagen in Brand gesteckt hatte, wobei bis auf drei Ringelspiele alles vernichtet wurde, hat er ihn mit seiner Familie nicht verlassen. Der Krieg hatte allerdings seine Gesundheit zerstört, 1946 starb er. Aber einige Monate zuvor hatte er bereits mit dem Wiederaufbau begonnen.

Sein Sohn Alexander SCHAAF (geboren 1923, gestorben 1996) führte das Schaaf-Imperium – 65 von 200 Praterbetrieben – für den Rest des Jahrhunderts. »Praterkönig« wurde er zu Recht tituliert. Seine Sorge galt auch seiner Branche. So saß er führend in allen Pratergremien, gründete den Wiener Schaustellerverband und die katholische bzw. evangelische Praterseelsorge.

Die Genannten waren evangelisch A.B. und wurden in der Familiengruft auf dem Evangelischen Friedhof Simmering bestattet.

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 176-177.

 

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Weblinks (Auswahl):

Familie HOLZDORFER

Schausteller, Praterunternehmer, Restaurantbesitzer.

Friedrich HOLZDORFER (geboren 27.4.1893 in Wien, gestorben 1952 in Wien). galt als der Praterkönig, der den Prater um zahlreiche Attraktionen und Neuerungen bereicherte. So wurde 1933 die erste typische Geisterbahn mit dem Namen »Geisterschloss« von Friedrich Holzdorfer auf Parzelle 96 errichtet. Sie sorgte von Beginn an für ein enormes Besucherinteresse und fiel während des 2. Weltkrieges, viel zahlreiche andere Anlagen im Prater, Fliegerbomben zum Opfer. Seine bevorzugte Stellung in der NS-Zeit nützte Friedrich Holzdorfer, um so manchem jüdischen Kollegen zu helfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste er wieder von vorne beginnen. 1949 reiste er nach Kairo und stellte dort einen ambulanten Vergnügungspark zusammen. Er strotzte nur so von neuen Ideen, von denen nur wenige durch die Wiener Behörden genehmigt wurden. Holzdorfer hatte einen guten Riecher für die Bedürfnisse der Massen. Er war Philosoph und Geschäftsmann zugleich, dazu ein typischer Wiener – als Vergnügungsindustrieller von internationalem Unternehmergeist realisierte er auch große Illusionspläne. Er war evang. H. B.

Seine Tochter Stephanie führte bis zu ihrer Pensionierung 1992 die Lindwurmgrottenbahn.

Sohn Fritz HOLZDORFER übernahm die Meierei in der Hauptallee. Die Meierei, ein Etablissement für das Nobelpublikum wie seinerzeit das Restaurant auf dem Konstantinhügel, ist eines der wenigen Gebäude, die von der Wiener Weltausstellung 1873 erhalten sind. Fritz Holzdorfer führte die Meierei lange Jahre mit seiner Tochter Brigitte HOLZDORFER, nach deren tragischen Tod 2008 ist die Enkelin Sabine Bledy nachgefolgt. Die »Senioren« der Evangelisch-Reformierten Pfarrgemeinde Wien-Innere Stadt feiern hier traditionellerweise das von Peter Karner wieder ins Leben gerufene Veilchenfest.

Die Familie ist in weiblicher Linie evangelisch H.B. Das Familiengrab befindet sich auf dem Zentralfriedhof beim 2. Tor.

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 17.

 

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