Eine Wolke von Zeugen – Martin Zeiler

Mit dem Leben der Anna Neumann ist in eigenartiger Weise das Leben eines Pfarrersohnes und Reiseschriftstellers verbunden. Die Herrschaft Murau hatte das Vogtei recht über die Pfarre Ranten, die eigentlich unter kirchlichem Patronat stand. Um 1553 wurde dort ein Lungauer Bauernsohn als Pfarrer eingesetzt, der ordentlich zum Priester geweiht war, freilich vorher in Zwickau und Wittenberg studiert hatte: Martin Zeiller d. Ä. Er bekannte sich einige Jahre später offiziell zum evangelischen Glauben, heiratete auch und blieb bis zu seiner Vertreibung im Jahre 1600, also fast durch fünf Jahrzehnte, Pfarrer in Ranten. Seiner Anregung werden die bedeutenden Fresken verdankt, die die Außenseite der dortigen Kirche schmücken und die in eindeutiger Weise die Gesetz- und Evangeliumsdarstellung, den leidenden Hiob und Christus als Weltenrichter zeigen.

Aus der dritten Ehe des älteren Martin Zeiller entstammt der gleichnamige Sohn, der 1589 geboren wurde. Mit dem Vater hatte er die Heimat zu verlassen. Er besuchte dann in Ulm die Schule, wohin sein Vater etwas später gelangte. Der ältere Zeiller fand nämlich nach langen Mühen in Ulm eine Ausstellung als Pestseelsorger und ist dann im Jahr 1609 dort verstorben. In der Zwischenzeit ist der Sohn zum Studium nach Wittenberg gegangen. Nach Beendigung des Studiums schlug er jenen Weg ein, den damals viele Theologen nahmen, er wurde Erzieher adeliger Söhne.

Dabei war es für ihn bezeichnend, daß er ausschließlich Söhne österreichischer Adeliger als Mentor und Hofmeister begleitete. Für den steirischen Adel war es zunächst wichtig, daß die Söhne von evangelischen Adeligen an evangelischen Universitäten und in evangelische Länder begleitet wurden. So war die Sorge des Martin Zeiller auch dadurch gekennzeichnet, seinen Schützlingen eine angemessene evangelische Ausbildung zu geben bzw. zu verschaffen. Auf diese Weise kam er aber in viele Gegenden und Länder Deutschlands; später, als seine Schützlinge katholisch geworden waren, weil man in ihrer Heimat als evangelischer Adeliger nicht mehr bleiben konnte, gelangte er auch nach Italien.

Es war eine lange Zeit, während der er diese Reise machte. Nur langsam vermochte er dafür Sorge zu tragen, daß er in Ulm seine Heimat finden konnte. Er war schon vierzig Jahre alt, als ihm dies endlich gelang. 1629 kaufte er dort ein Haus, wurde Bürger der Stadt und konnte im Jahr 1630 eine Bürgerswitwe heiraten. Die Ehe blieb freilich kinderlos.

Nun versuchte er in den Dienst der Stadt Ulm zu treten, sei es als Prediger, sei es und das war wohl eher seine Absicht, als Schulmeister. Beides gelang ihm vorerst nicht. So begann er die Reiseerlebnisse, die er hatte, in einem Buch zu schildern. Dieses Reisebuch, das anscheinend einem dringenden Bedürfnis der Zeit entsprochen hat, fand begeisterte Aufnahme. Damit waren aber der weitere Lebensweg und die Tätigkeit von Martin Zeiller bestimmt: Er wurde zum erfolgreichsten Reiseschriftsteller des 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum.

Man muß sich vorstellen, daß dies mitten im 30jährigen Krieg vor sich ging. Zeiller selbst hatte wegen seiner Hofmeistertätigkeit nur zum Teil von den Kriegswirren unmittelbar Kenntnis. Und auch die Stadt Ulm war infolge ihrer hervorragend instand gehaltenen Befestigungen von den Schrecken des Krieges unmittelbar verschont geblieben, obschon sich dieser, gerade in den Jahren nach der Niederlassung von Zeiller in ihr, im südwestdeutschen Raum konzentriert hatte.

Vielleicht waren es gerade diese Schrecknisse des Krieges, die Menschen dazu begeisterten, Reisebücher zu lesen, und zwar auch über Orte, wo sie selbst nicht hinkommen konnten. Nachdem Zeiller seine eigenen Reisen ausgewertet hatte, dem deutschen Reisebuch folgte eine Reisebeschreibung durch Frankreich, eine durch England, eine durch Spanien und eine durch Italien, nahm er es auf sich, Reisen anderer zu beschreiben, die ihm das Material dafür zur Verfügung stellten. Den Abschluß dieser Reisebeschreibungen stellte aber eindeutig jenes Handbuch für Reisende dar, in dem Zeiller in systematischer Weise Ratschläge für Reisende aus seiner eigenen Erfahrung zusammenstellte. Daß das ebenfalls einem Bedürfnis, nicht zuletzt nach dem Ende des 30jährigen Krieges, entsprochen hat, beweist die Tatsache, daß sein „fidus Achates oder getreuer Reisgefährt“ schon 1680 zum dritten Mal aufgelegt worden ist. Durch diese Reisebeschreibungen wurde der Frankfurter Kupferstecher und Verleger Matthias Merian auf Zeiller aufmerksam. Er gewann ihn dafür, daß Zeiller die Texte für die von Merian zusammengestellten und herausgegebenen Ländertopographien verfaßte. Und damit hat Zeiller den Bereich der bloßen Reiseschriftstellerei weitaus verlassen und hat in einer für die damalige Zeit geradezu unbegreiflichen Sorgfalt und Genauigkeit weite Teile Europas beschrieben, also landeskundliche Darstellungen geliefert. Der Wert der Merianschen Topographiebände lag zu einem hohen Maße bei den Beschreibungen, die Zeiller dazu geliefert hat, auch wenn sein Name erst nach dem Tod von Matthias Merian auf den Titelblättern genannt wurde.

Daneben betrieb Zeiller auch Übersetzungstätigkeit und schrieb literarische Werke verschiedenen Inhaltes.

In Ulm selbst brachte er es zu Ansehen, wurde Mitglied der städtischen Zensurbehörde, Aufsichtsorgan über die städtischen Schulen und nahm andere Ämter in der Stadtverwaltung wahr. So blieb er sein ganzes Leben lang Schriftsteller und hatte damit sein Auskommen.

Religiöse Hinweise finden sich in seinen Schriften nur wenige. Vielleicht war es die Erfahrung der verschiedenen Konfessionen, die ihn vorsichtig machten? Andererseits hat er aber das Angebot, doch auch katholisch zu werden, wie es zwei seiner Schützlinge geworden sind, einfach abgelehnt, und er lebte und webte ganz bewußt aus biblischem Geiste. Vielleicht war es seine irenische Natur, die ihn dazu bewogen hat, Positives aus jeder Konfession aufzunehmen und zu akzeptieren.

So war er wohl nicht unmittelbar ein Zeuge des Evangeliums, mittelbar aber wohl. Er hat vorgeschlagen, daß nach seinem Tod die Grabpredigt über das Wort aus dem 1. Buch Mose 32, 10 gehalten wurde: „Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die Du an Deinem Knecht getan hast. Denn ich hatte nicht mehr, denn diesen Stab, da ich über den Jordan ging, und nun bin ich zwei Heere geworden“.

Der Exulantenjunge Zeiller, dessen Vater von Anna Neumann, so gut es ging und so lange es möglich war, gegen die andrängende Gegenreformation geschützt worden war, war kein Eiferer im Sinne evangelischer Engherzigkeit, sondern verkörperte wohl jene Offenheit, die dem evangelischen Bekenntnis gerade im Blick auf die Toleranz auch innewohnt.

 

Gustav Reingrabner: Eine Wolke von Zeugen Aus: Glaube und Heimat 1993, S.39-41.

Martin ZEILLER

Geboren am 17. April 1589 in Ranten, Steiermark
Gestorben am 6. Oktober 1661 in Ulm.

Protestantischer deutscher Autor der Barockzeit, Reiseschriftsteller.

Sein Vater Martin Zeiller d. Ältere war ein Schüler Melanchthons, ist als evangelischer Pfarrer in Ranten, Steiermark, tätig gewesen und hat die Fresken an der Außenseite der Rantener Pfarrkirche anfertigen lassen. Wegen der einsetzenden Gegenreformation floh er aus der Obersteiermark und ließ sich schließlich mit seiner Familie in Ulm nieder.

Stich von A. Kohl                                             Aus © Bildarchiv Austria, ÖNB

Martin Zeiller jun. hat nach dem Besuch des Gymnasiums in Ulm, ab 1608 in Wittenberg Geschichte und Rechtswissenschaft studiert. Nach dem Studium arbeitete er als Hauslehrer bei protestantischen Adelsfamilien sowie als Notar unter anderem im österreichischen Linz, von wo ihn aber die Gegenreformation vertrieb. Ab 1629 bekleidete er in der Reichsstadt Ulm verschiedene Ämter im Schulwesen (unter anderem Aufseher des Gymnasiums 1641, Inspektor der deutschen Schulen 1643) und verfasste zahlreiche meist geografische Schriften, auch Reisehandbücher sowie verschiedene Lexika, und wirkte als Textautor an Matthäus Merians Topographia Germaniae mit.

Grundlage seiner Schriften waren Aufzeichnungen über Erlebnisse während der ausgedehnter Reisen mit seinen adeligen Schülern.

Zeiller ist das typische Beispiel eines barocken Polyhistors und Kompilations-Schriftstellers. Seine unerhörte literarische Produktivität wurde von den Zeitgenossen durchaus anerkannt.

Im Geburtsort von Martin Zeiller (Ranten in der Steiermark) wurde anlässlich seines 400. Geburtsjahres ein Martin-Zeiller-Pfad mit Gestaltungselementen des weststeirischen Bildhauers Alfred Schlosser eingeweiht.

 

 

Weblinks (Auswahl):

 

Reinhard Federmann – Weltbürger im Niemandsland

Reinhard Federmann schrieb mit Milo Dor ganze Bücher im Kaffeehaus, das erste gemeinsame Buch im Café »Eisenbahnerheim« am Margaretengürtel. Es war ein Thriller und hieß »Internationale Zone«. Mit dem Schreiben von Krimis versuchten sie sich über Wasser zu halten in dem Niemandsland, das Österreich für Federmann geworden war. Beide stammten aus typisch bürgerlichen Familien und standen nach 1945 – der eine als heimatlos vertriebener Flüchtling (Dor) und der andere als eine Art Waisenkind (Federmann) – vor dem Nichts. Begonnen hat die Zusammenarbeit des gebürtigen Serben mit kommunistischem Parteibuch Milo Dor und Reinhard Federmann, dem freiheitlich-sozialistischen Protestanten – mit jüdischem Großvater väterlicherseits – mit einem Nachruf. Es war der Nachruf auf einen Grafiker und Maler mit Namen Wiener, der Selbstmord begangen hatte, um nicht zu verhungern. Die Empörung der beiden richtete sich gegen den Mangel an Anerkennung künstlerischer Arbeit in Österreich und die Unterstützung von Künstlern. Da der Aufschrei ohne Echo blieb, entschlossen sie sich, zuerst einmal Kriminalromane zu schreiben, um Geld zu verdienen. Das Geheimnis der Zusammenarbeit war, dass sich beide als »deklassierte Außenseiter der Gesellschaft« (Milo Dor) empfanden. Das Buch »Das Gesicht unseres Jahrhunderts«, auch eine Art Krimi, avancierte zum Nachschlagewerk und wurde 25.000-mal verkauft.

Für Milo Dor war Federmann, mit dem er 15 Jahre intensiv zusammenarbeitete, ein unerschütterlicher Optimist im Angesicht der grenzenlosen Fremdheit, die er in seiner eigenen Heimat Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg empfinden musste. Dieses Sich-fremd-Fühlen war auch Federmanns Lebensgefühl bis zum Schluss, unterstützt und genährt durch selbst erlebte schreckliche Kriegsgräuel, für die es nach dem Krieg keine solidarisierende Sprache gab, sondern die Vertuschung der Ereignisse durch den österreichischen Staat und große Teile seiner Bevölkerung in den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik.

Mit 19 Jahren wurde er als Funker an die Ostfront geschickt, bekam für eine unfreiwillige Heldentat das Eiserne Kreuz zweiter Klasse, wurde verwundet und kam in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1945 entlassen wurde. Seine Mutter war, als er heimkam, gestorben, sein verzweifelter Vater war in die winterliche Donau gesprungen, der älteste Bruder verwundet, der jüngste beging Selbstmord. Federmann wollte überleben und begann zu schreiben. Der erste Roman »Der Weltbürger im Niemandsland« fand keinen Verleger – Otto Basil druckte einen Auszug in der Zeitschrift »Plan« ab. Ein Publikum, das Federmann gerne gelesen hätte, gab es nicht, denn alle suchten eher ihr Heil bei Sisi-Filmen als in der Aufarbeitung der Vergangenheit. Diejenigen, die den Schrecken erlebt hatten, blieben ein zweites Mal alleine: Als Schriftsteller war mit den Kriegserlebnissen kein Staat zu machen. Sein zweiter Roman »Chronik einer Nacht« wurde immerhin von Peter Strasser, der selbst aus der Emigration heimgekehrt war, in der Arbeiter-Zeitung abgedruckt. Er schrieb: »Wir haben nur ein Phantom erschlagen. Der Feind lebt lustig weiter. Er zündelt an allen Ecken. Ich glaube nicht mehr an die Ideale von vorgestern. Jeder steht für sich allein … Du warst ausgelöscht, als hätte es dich nie gegeben.«

Den Titel seines dritten Romans, »Das Himmelreich der Lügner«, lehnte Federmann an das Trotzki-Zitat »Unsere Zeit ist vor allem eine Zeit der Lüge« an. Ergreifende Passagen über die jüngste Vergangenheit und die Unfähigkeit Österreichs, über das zu sprechen, was getan wurde, brachten es mit sich, dass sich neuerlich kein österreichischer Verlag fand, Federmann zu publizieren. Federmann war inzwischen bei der Gruppe 47 aufgetreten, und so erschien das Buch schließlich in einem deutschen Verlag. Milo Dor meinte zur Identität Federmanns: »… Reinhard war Optimist. Und er war ungeheuer fleißig, was vielleicht mit dem Erbe seiner deutschen protestantischen Vorfahren mütterlicherseits zusammenhing. Aber er war andererseits durch seinen Vater ein Jude. Wenn die Verzweiflung darüber, in einer zuweilen feindlichen Welt zu leben, die Skepsis dieser Welt gegenüber und die Selbstironie, die einem hilft, sich in einer ausweglosen Situation zu behaupten, Grundeigenschaften der europäischen Juden sind, dann war er ein Jude, und das machte ihn zu meinem Freund oder eigentlich zu meinem Bruder.«

Die österreichischen Sozialisten haben Federmann nach dem Krieg nicht geholfen, sich als Schriftsteller zu Hause zu fühlen, da sie eine konservative Kulturpolitik betrieben – das bedeutete eine weitere Heimatlosigkeit für Federmann. Er arbeitete in Deutschland, kehrte Anfang der siebziger Jahre, als sich Wien etwas öffnete, zurück und versuchte erneut, als freier Schriftsteller Fuß zu fassen. Er gründete die Literaturzeitschrift Die Pestsäule, die er bis zu seinem frühen Tod führte. Unbezahlte Positionen wurden ihm angeboren: Sprecher der Schriftsteller und Künstler in der Hörer- und Seher-Vertretung beim Österreichischen Rundfunk und Fernsehen und Generalsekretär des Österreichischen P.E.N.-Clubs, dessen internationalen Kongress er noch 1975 in Wien kurz vor seinem Tod organisierte. »Ich glaube an den Tod. Genauso, wie der Christ sein ganzes Leben auf Gott ausrichtet, so will ich mich bemühen, mich auf meine letzte Minute auszurichten.« Diese Einstellung begründete er mit dem Hinweis, »niemals weniger an ein höheres Wesen gedacht zu haben, als in dem Augenblick, als mir der Tod vor Augen stand.« Sein schriftstellerisches Credo lautete: »Die letzte Instanz ist die Wirklichkeit.«

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 61–63