Johannes Heinzelmann – Lieber mit Christus fallen

Im Jahr 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, auf der 20. Versammlung der Wiener Lutherischen Diözese A.B., lieferte der zuständige Superintendent Johannes Heinzelmann vor einer versammelten, nationalsozialistisch gewordenen evangelischen Pfarrerschaft und Kirche eine offene und äußerst kritische Einschätzung der Entwicklung der Kirche unter der Herrschaft des Nationalsozialismus über die Jahre 1931-1942:

»So groß und allgemein in allen Kreisen unserer Kirche die Freude über den Anschluss war, und so heißen Herzens viele unter uns mit auf ihn hingearbeitet hatten: man konnte sich auf die Dauer nicht verhehlen, dass Nationalsozialismus und Christentum (…) schwer vereinbare Größen seien.
Die Kirche wird nicht wie in Russland verfolgt, aber sie wird übersehen und zur Einflusslosigkeit verurteilt. Denn der NS-Staat handelt nach dem ihm eingeborenen Grundsatz der Totalität. Nach diesem Prinzip beansprucht er den deutschen Menschen als ein Ganzes, nach Leib und Seele, er formt seine Weltanschauung, er will auch seinem Glauben den Inhalt geben (…) Der alte Mythus, der christliche, recht eigentlich der Christusmythus, ist abgetan; ein neuer, der des unverfälschten Blutes und des Bodens der Heimat, ist bestimmt, ihn abzulösen, die Religion des deutschen Menschen zu werden.«

Der offizielle Protestantismus, ein hoher Prozentsatz der Pfarrerschaft und viele »Gläubige« feierten nach 1938 den »Anschluss« an das »Mutterland der Reformation«. Ein wesentlicher Grund war der Sieg über die Demütigungen während der Ära des katholischen Ständestaates, in der die Evangelischen Kirchen in Österreich eine Art zweite Gegenreformation erlebt hatten. Es wurde angeordnet, Deutschlandlied und Horst-Wessek Lied in Gottesdiensten zu singen und die Hakenkreuzfahne zu hissen – ein einsamer Protest kam dagegen: Es war der von Johannes Heinzelmann. Er wurde als »Bekenntnispfaffe« verspottet, als »Rompilger« von seinen Pfarrern verachtet. Als »Nachwort« zum Hirtenbrief 1938 schrieb er: »Es ist besser mit Christus zu fallen als mit irgendeinem anderen Herrn zu stehen.« Diese Worte waren eines der wenigen kritischen Bekenntnisse eines evangelischen Theologen in einer Zeit, in der die Kollegen die »Entjudung« des Gesangsbuches, die Beseitigung der Hebraismen aus den Gottesdiensten, die freiwillige Vereidigung der geistlichen Amtsträger auf Hitler und die Solidarisierung mit dem NS-Staat gegen die »Ruhestörungen durch den politischen Katholizismus« im Herbst 1938 forderten. (Karl Schwarz, 1998) Johannes Heinzelmann kam als Vikar durch den Evangelischen Bund in den Jahren der Los-von-Rom-Bewegung um die Jahrhundertwende nach Österreich und er blieb. Georg Ritter von Schönerer, ein katholischer Konvertit, propagierte die Los-von-Rom-Bewegung im Reichsrat. Zwischen den Jahren 1899-1911 traten ca. 46.000 Menschen in die Evangelischen Kirchen ein. Die Gegner nannten die Bewegung »rechtsnationalen Radauprotestantismus«, dem es um die »Leitkultur« im Habsburgerreich gegangen ist. Heinzelmann stammte aus einer alten Theologendynastie, die in der Mark Brandenburg zu Hause war und sich bis zu Johannes Heinzelmann an der Nikolaikirche in Berlin zurückverfolgen lässt, einem Amtsbruder von Paul Gerhardt (1607-1676). Geboren in der Lutherstadt Erfurt, die zur Altpreußischen Unionskirche gehörte, studierte er in Tübingen, Berlin, Halle und ging danach in die Habsburgermonarchie. 1900 gründete er die Pfarrgemeinde Villach und wirkte seit 1928 als Superintendent der Wiener Superintendenz A. B., die damals die Bundesländer Wien, Niederösterreich, Steiermark und Kärnten umfasste und somit zwei Drittel der Lutherischen Kirche neben Oberösterreich, dem Burgenland und der Evangelischen Kirche H. B.

Als dienstältester Superintendent führte er 1940 Hans Eder als ersten evangelisch-lutherischen Bischof in Österreich (1940-1944) und nach dessen frühem Tod Gerhard May (1944-1968) ein, der mit seiner Tochter Hedwig Heinzelmann verheiratet war.

Er selbst war mit Friederike geh. Kolatschek (1878-1962), der Tochter des Neunkirchener Pfarrers Julius Kolatschek (1829-1900) verheiratet und wurde am Zentralfriedhof Linz bestattet.

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner, Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. (2. verb. Aufl., Wien 2009) S. 82–83.

Oberkirchenrat Univ.-Prof. Dr. Johannes Dantine

Am 24. August 1999 ist Oberkirchenrat Univ.-Prof. Dr. Johannes Dantine im Alter von 61 Jahren an einem Krebsleiden verstorben. Mit ihm verliert unsere Kirche einen ihrer bedeutendsten Theologen, Gestalter und Vordenker und einen ihrer profiliertesten Vertreter in der Öffentlichkeit.

Johannes Dantine wurde am 5. Juli 1938 in Wallern an der Trattnach geboren. Nach der Matura 1956 studierte er evangelische Theologie in Wien, Basel, Göttingen, Lausanne und Paris. 1965 wurde er in Göttingen mit einer Arbeit über die Prädestinationslehre bei Johannes Calvin und Theodor Beza zum Doktor der Theologie promoviert. Seine profunde Kenntnis der reformierten Tradition befähigte ihn als prononcierten Lutheraner hervorragend zur langjährigen Mitarbeit an den Leuenberger Lehrgesprächen. 1977 habilitierte er sich an der Universität Wien mit einer Arbeit über die heutige Relevanz der Lehre von den Merkmalen der Kirche, die unter dem für Dantines Lebenswerk programmatischen Titel „Die Kirche vor der Frage nach ihrer Wahrheit“ 1980 im Druck erschienen ist. Dann entwickelte er ein Verständnis von Kirche als Lernprozess und Lerngemeinschaft, das auch der Theologie als Aufgabe gestellt ist. Noch Anfang Juli dieses Jahres sprach Johannes Dantine in Budapest zum Thema ,,Die Bedeutung der Theologie in der säkularen Gesellschaft von morgen“. Dabei führte er aus, dass Theologie nur kommunikativ betrieben werden kann. Es ist ihre Aufgabe, Verständigung in Gang zu setzen und in Gang zu halten. Damit ist jedem Fundamentalismus eine Absage erteilt. Theologie muss gesellschaftsrelevant und wirklichkeitsoffen sein, sie tritt ein für das Freiheitsthema und einen rationalen, verständigen Umgang mit der Irrationalität des je eigenen Glaubens.

Dieses Verständnis von Theologie und Kirche entwickelte er in seiner intensiven und facettenreichen kirchlichen Arbeit, die im Sinne seines Lehrers Karl Barth mit der Bibel in der einen und der Zeitung in der anderen Hand angelegt war. Sie begann mit seinem Lehrvikariat 1964 in Spittal an der Drau und durchzog seine Jahre als Pfarrer ab 1965 in Wien-Gumpendorf. Schon als junger Pfarrer hat er sich unermüdlich am kirchen- und gesellschaftspolitischen Geschehen kritisch beteiligt und seine theologische Reflexion über konkretes Engagement eingebracht. Sein Mitwirken in der österreichischen Jugendpolitik und im evangelischen Jugendwerk, in der Wiener Kommunal- und Drogenpolitik, in der Anti-Apartheids- und der Friedensbewegung, in der Evangelischen Akademie und in der Synode (seit 1984) verstand er immer in Verantwortung dafür, dass Kirche in der Gesellschaft wirklich Kirche ist“. Für dieses Anliegen entfaltete er auch ein breites publizistisches Wirken. Sein theologisches Urteilsvermögen und sein politischer Sachverstand prägten zuerst die Salzburger Gruppe und später die offizielle Kirchenpolitik. In Bewahrung und als Bewährung seiner gelebten und gelehrten kritischen Theologie wurde er 1990 zum geistlichen Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A. B. gewählt. In dieser hauptamtlichen KirchenIeitungsfunktion war er zuständig für Religionsunterricht und Bildung, für Ökumene und auswärtige Angelegenheiten sowie für die kirchlichen Werke und Vereine. Sowohl in der Evangelischen Akademie Wien (wo er zeitweise auch ehrenamtlicher Geschäftsführer war) als auch als zuständiger Oberkirchenrat setzte er sich für die kirchen- und religionssoziologische Forschung ebenso ein wie für einen für die evangelische Erwachsenenbildung typischen Dialog zwischen Kirche und Welt. Der war für ihn immer ökumenisch auf die gemeinsame Weltverantwortung aller Kirchen ausgerichtet. So hielt er als Pfarrer in den 70-er Jahren den Kontakt zum Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf aufrecht, während die damalige Kirchenleitung diesen vernachlässigte, und war als Oberkirchenrat im Vorstand des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich.

Johannes Dantine vereinte als Mitglied der Kirchenleitung und als Universitätsprofessor in seiner Person die beiden Dimensionen, die ihn auch in Zukunft zu einem klassischen ,,Lehrer der Kirche“ machen. Dabei war ihm von Anfang an wichtig, dass über die Wahrheit in der Kirche nicht autoritär entschieden werden kann. Das Gespräch, der Diskurs und auch der Streit waren seine bevorzugten Mittel der praktischen und theoretischen Kirchengestaltung. Gleichzeitig stand er immer für die Überzeugung, dass die Kirche kein Selbstzweck ist, sondern ihrem Auftrag nur dann gerecht wird, wenn sie die Botschaft des Evangeliums in den gesellschaftlichen Konflikten Gestalt werden lässt. Wie zur Bestätigung dessen war Johannes Dantine eine öffentlich bekannte und wirksame Persönlichkeit, dessen kritische Stimme in den Medien und auf Veranstaltungen der Zivilgesellschaft sowie quer durch die politischen Parteien Gehör fand. Unermüdlich und unbequem thematisierte er sozial- und wirtschaftspolitische Fragen und durchbrach Ausgrenzungen, zuletzt besonders die von Flüchtlingen und Homosexuellen. Sein Bekanntheitsgrad reichte über Österreich hinaus. Er war auch seit 1980 als erster Österreicher ständiger Mitarbeiter der traditionsreichen Zeitschrift „Junge Kirche“.

Johannes Dantine war als Mensch gekennzeichnet durch Freude am Leben, hohe Arbeitsmoral und ausgeprägten Familiensinn. Er war mit Lisette Dantine-Jordan verheiratet, die sein Wirken begleitet und unterstützt hat. Ihr unerwartet früher Tod im Dezember 1997 hat ihn sehr getroffen. Die drei Söhne Christoph, Daniel und Olivier haben nun in kurzer Zeit den Tod beider Eltern zu verkraften.

Sowohl für die Theologie wie für die Kirche ist es notwendig, dass sich Menschen mit ihrem je eigenen subjektiven Glauben einbringen. Johannes Dantine hat das getan, als er anlässlich seines 60. Geburtstages von der „Schönheit und Zerbrechlichkeit des Lebens“ sprach und als er – schon im Wissen um seine schwere Erkrankung – in seiner Osterpredigt in Wels ausführte, dass die Auferstehung Jesu eine Absage an die „Normalität des Todes“ darstellt.

Aus: Amtsblatt für die Evangelische Kirche in Österreich, Jahrgang 1999, 7./8. Stück, Seite 85-86.

Johannes DANTINE

Geboren am 5. Juli 1938 in Wallern, Oberösterreich
Gestorben am 24. August 1999 in Wien

Theologe, Pfarrer, Universitätsprofessor, Oberkirchenrat.

Sohn des Universitätsprofessors Wilhelm Dantine und dessen Gattin Charlotte Dantine geb. von Versen. Vater von Olivier Dantine.

Studium der evangelischen Theologie in Wien, Basel, Göttingen, Lausanne und Paris. 1965 Promotion zum Doktor der Evangelischen Theologie. Nach Lehrvikariat in Spittal an der Drau (1964) und Wien-Gumpendorf (1965) am 3. Juli 1966 Ordination, dann 25 Jahre als Pfarrer der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. Wien-Gumpendorf tätig. Habilitation 1977. Universitätsdozent, ab 1990 außerordentlicher Universitätsprofessor für Systematische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät. Ebenfalls 1990 Wahl zum Oberkirchenrat und damit Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Österreich.

Engagement in der Ökumen, in der Leuenberger Kirchengemeinschaft, jetzt GEKE), in der Evangelischen Akademie und in vielen gesellschaftspolitischen Fragen.

1998 wurde Johannes Dantine mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet.

 

 

Weblinks (Auswahl):