Eine Wolke von Zeugen – Wilhelm Stráner

Von Gustav REINGRABNER

Während in weiten Teilen der österreichischen „Reichshälfte“ der Habsburger Monarchie die Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert mit heftigen Auseinandersetzungen nationaler und politischer Art erfüllt waren, die sich auch auf die Kirchen auswirkten und in manchen Gegenden zu einer regelrechten Übertrittsbewegung zum Protestantismus führten („Los von Rom“), war in der ungarischen Hälfte, zu der das heutige Burgenland gehörte, die Situation wesentlich anders.

Hier hatte sich zwar in verschiedener Hinsicht die liberale Tendenz durchgesetzt, sodass 1895 die Zivileheschließung eingeführt wurde, andererseits waren die Privilegien der Kirchen, die als gleichberechtigt galten, doch nicht abgeschafft worden. So war etwa das Schulwesen weitestgehend in kirchlicher Hand. Auch das Fürsorgewesen hatte – von einigen privaten Stiftungen abgesehen – kirchliche Trägerschaft. Und im interkonfessionellen Bereich waren – nicht zuletzt durch eine durch staatliche Gesetze und eine statische Sozialordnung stark hierarchische Prägung – die Fronten so klar abgegrenzt. dass es weder zu einer „Los von Rom“-Bewegung, noch auch zu emotionalen Gegensätzen gekommen ist.

So war es eine ruhige Zeit für die Pfarrgemeinden in Westungarn, die durch die Wohlabgemessenheit aller kirchlichen Arbeit gekennzeichnet war. Die Kirchen, Schulen und Pfarrhäuser waren – auch in allen Tochtergemeinden – errichtet, das kirchliche System lief ohne große Hemmungen, wenngleich die Beschaffung der Mittel trotz der vorhandenen Rücklagen und Fonds auch nicht immer leicht fiel.

Damals gab es Betrachter, die diese Zeit des ruhigen Bestehens als „Zeit der Ernte“ ansahen. Später stellte sich freilich heraus, dass die Ernte nicht so gut und so reich war, wie man es erhofft und angenommen hatte.

Wenige waren es, die in dieser Zeit den Versuch unternahmen, die festgefahrenen Geleise zu verlassen, um sich neue Aufgaben zu stellen. Einer von diesen war der Pfarrer von Pinkafeld, Wilhelm Stráner.

Er wurde am 8. April 1866 in Ödenburg geboren und hatte in seiner Heimatstadt die Schulen besucht, aber auch sein Theologiestudium absolviert. Im Herbst 1889 wurde er zum geistlichen Amt ordiniert und trat seinen Dienst als „Kaplan“ des damals bereits schwer erkrankten Pfarrers von Pinkafeld, Ernst Blochmann, an.

Blochmann war aus Dresden nach Oberschützen gekommen, von wo ihn die Pinkafelder 1876 zu ihrem Pfarrer gewählt hatten. Seine Schwäche war die Organisation, seine Stärke die mächtige, „geistvolle“ Rede. Nunmehr war er aber –- noch nicht sechzigjährig – schwer erkrankt und auf dem jungen Kaplan lag die ganze Fülle der Arbeit. Und am 23. Jänner 1890 verstarb Blochmann. Stráner war nun allein in der großen Gemeinde mit ihren vier Filialen.

Sein Wirken war aber in der Gemeinde auf derart ungeteilte Zustimmung gestoßen, dass 210 stimmberechtigte Gemeindeglieder den zuständigen Bischof Dr. Alexander Karsay schriftlich ersuchten, trotz der noch nicht zurückgelegten Kaplanzeit die Kandidation des jungen Geistlichen zu genehmigen. Der Bischof entsprach dem Wunsch der Gemeinde und diese wählte noch im Frühjahr 1890 den damals gerade 24jährigen zu ihrem Pfarrer.

Stráner blieb nur fünfzehn Jahre in Pinkafeld. Es waren aber Jahre einer reichen und auch erfolgreichen Tätigkeit, aus der zwei Bereiche besonders herausragen: Die Sache der Diakonie und die Verlebendigung der Gemeinde durch die Errichtung von Vereinigungen und Gemeinschaften.

Daneben stand natürlich die Notwendigkeit der Erhaltung und Errichtung kirchlicher Bauten und der Erneuerung verschiedener Arbeitsformen.

Dabei war es gar nicht so, dass die Anfänge der Tätigkeit von Pfarrer Stráner durch Harmonie und Eintracht gekennzeichnet waren. Sofort nach dem Tod von Pfarrer Blochmann hatten die Presbyterien beschlossen, den Konfirmandenunterricht auf ein Jahr zu beschränken, und die Wiederholungsschule der 12- bis 14jährigen auf das gesetzlich gebotene Minimum einzuschränken. Und der Pinkafelder Lehrer weigerte sich, in dem vom Pfarrer gegründeten Männergesangverein überhaupt nur mitzuwirken, geschweige denn ihn zu leiten. Stráner gelang es jedoch, diese Probleme langsam zu lösen und auch geeignete Mitarbeiter zu gewinnen, die als Kuratoren, Lokalinspektoren und Presbyter wesentlichen Anteil an der äußerlich guten Entwicklung hatten.

Nachdem die ständige Anstellung eines Kaplans gescheitert war, die dem Pfarrer Gelegenheit geboten hätte, die Zahl der Gottesdienste durch die Einführung wöchentlicher Vespern in der Pfarrkirche zu vermehren, gelang es Stráner, einen Diakonissenverein zu gründen, der dann auch 1901 eine erste Diakonisse als Gemeindeschwester anzustellen vermochte.

Hand in Hand damit ging der Ausbau des kirchlichen Vereinswesens. Dem Frauenverein, der 1892 entstand, folgte 1897 ein Männer- und Jünglingsverein und dann doch auch der Männergesangverein.

Und wenn auch vorerst die Realisierung der schon 1889 gemachten Putsch’schen Stiftung für ein Waisenhaus nicht gelang, so wurde durch die Anstellung der Diakonisse und die Sammlung von Kindern in Kreisen und Gruppen die Voraussetzung für die dann 1907 durch Stráners Nachfolger erfolgte Gründung des Waisenhauses in der Gemeinde geschaffen.

Stráner selbst war 1905 einem Ruf in die große Gemeinde Güns gefolgt. Seine Fähigkeiten, die schon in Pinkafeld ihren Ausdruck in mancherlei theologischen Veröffentlichungen gefunden hatten, waren aber so groß, dass er bereits im Jahre 1908 als Professor an die Theologische Akademie nach Ödenburg berufen wurde, an der er – durch die Wirren der Nachkriegszeit hindurch –- bis zu seinem am 4. Februar 1932 erfolgten Tod tätig war.

Das waren dann die Jahre, in denen im westungarischen Grenzgebiet alle jene Schwierigkeiten und Gegensätze aufbrachen und in der Kirche für Unruhe und Turbulenzen sorgten, die in Österreich bereits vor dem Ersten Weltkrieg eingesetzt hatten.

Die Pfarrgemeinde Pinkafeld ging schweren Zeiten entgegen. Manches aber, was Wilhelm Stráner angefangen hatte, blieb doch durch längere Zeit bestehen, vor allem aber das Wissen, dass Gemeinde mehr ist als bloße Verwaltungsgemeinschaft für Liegenschaften und Gebäude. Ein lebendiger, von der Gemeinde getragener Gottesdienst, Gemeinschafts- und Gesellungsformen in der Gemeinde zeigen etwas von der in Christus gegebenen Gemeinschaft derer, die in die Nachfolge gerufen wurden. Zeuge Christi kann man auch in dieser Form sein, wie es Stráner durch seine Anregungen, durch seine Predigten und durch seine persönliche, sehr bescheidene und tiefe Frömmigkeit gewesen ist.

 

Aus: Glaube und Heimat 1989, S.42-44.

Wilhelm STRÁNER

Geboren am 8. April 1866 in Ödenburg/Sopron, Ungarn
Gestorben am 4. Februar 1932 in Ödenburg

Theologe, Pfarrer, Universitätsprofessor

Nach dem Theologiestudium in Ödenburg wurde Stráner im Herbst 1889 zum geistlichen Amt ordiniert und trat seinen Dienst als „Kaplan“ des damals bereits schwer erkrankten Pfarrers von Pinkafeld, Ernst Blochmann, an. Pfarrer Blochmann starb bereits am 23. Jänner 1890 und Stráner wurde zu seinem Nachfolger gewählt.

Während seiner 15jährigen Tätigkeit in Pinkafeld widmete er sich nicht nur der Erhaltung und Errichtung kirchlicher Bauten und der Erneuerung verschiedener Arbeitsformen, besonders der Diakonie und der Verlebendigung der Gemeinde durch die Errichtung von Vereinigungen und Gemeinschaften. Unter anderem gründete er einen Diakonissenverein, der 1901 die erste Diakonisse als Gemeindeschwester anstellte.

1905 nahm Stráner die Berufung in die große Gemeinde Güns an und wurde 1908 als Professor an die Theologische Akademie nach Ödenburg berufen, wo er bis zu seinem Tod 1932 tätig war.

 

Gustav Reingrabner: Eine Wolke von Zeugen – Wilhelm Stráner
In: Glaube und Heimat 1989, S.42-44

 

Weblinks (Auswahl):

Eine Wolke von Zeugen – Veit Lantz

Von Gustav REINGRABNER

In der Bibliothek des Stiftes Vorau befindet sich neben zahlreichen anderen Werken aus der Reformationszeit eine im Jahr 1572 in Wittenberg gedruckte Lutherbibel. Die Rückseite des Titelblattes zeigt das Exlibris des ersten Besitzers, Vitus Lantz, der die Bibel im Jahr 1573 gekauft hat. Im Jahr 1615 schrieb dann Wolfgang Lantz seinen Namen auf das Titelblatt der Bibel als Besitzer, und 1627 folgte Sebastian Lantz. Diese Eintragungen zeigen also, daß diese Bibel durch längere Zeit im Eigentum der Familie Lantz geblieben ist. Auf dem letzten Blatt dieser Bibel finden sich zahlreiche Eintragungen aus dem Leben des Vitus Lantz, vor allem seine Familienangelegenheiten (Kinder), aber auch seine Wanderungen als evangelischer Pfarrer von Waiblingen in Württemberg bis ins österreichisch-westungarische Grenzgebiet.

Lantz hielt am 22. November 1562 in Hilpoltstein in der Nähe von Nürnberg seinen ersten Gottesdienst. In diesem Gebiet blieb er dann noch durch ein Jahrzehnt als Prediger. Für das Jahr 1578 gibt er Schönkirchen in Niederösterreich als Aufenthaltsort und Wirkungsstätte an. Von dort zog er für sieben oder acht Jahre nach Mörbisch an den Neusiedler See. Später sind noch Draßmarkt und Oberschützen als Stätten seines Wirkens bekannt. Die letzte Eintragung ist die der Geburt seines Sohnes Wolfgang im Jahr 1594 oder 1595 in Oberschützen.

Lantz war zweimal verheiratet. Seine erste Frau, die aus Göppingen stammte und im Alter von einundvierzig Jahren im Jahr 1581 in Mörbisch verstarb, schenkte ihm elf Kinder. Nach einer ganz kurzen Trauerzeit heiratete er in Mörbisch noch einmal und bekam von seiner zweiten, aus Niederösterreich stammenden Gattin Kunigunde fünf Kinder. Von seinen Kindern starben allerdings bis zum Jahre 1593 bereits neun. In seiner Mörbischer Zeit übte er sicherlich Seelsorge auch in der Stadt Ödenburg aus, wie aus seinen Eintragungen im Ratsprotokoll und aus einem Testamentslegat hervorgeht. Zwischen den Mörbischern und Lantz scheint es gelegentlich Probleme gegeben zu haben. 1579 gab es jedenfalls eine Beschwerde aus Mörbisch beim Ödenburger Stadtrat über ihn, wobei er als „eigenartige Persönlichkeit“ (Sonderling) bezeichnet wurde. Dennoch war die Tätigkeit von Lantz in Mörbisch in dem Augenblick besonders wichtig, als 1582 aus den Nachbargemeinden die evangelischen Pfarrer vertrieben wurden. Seine Gottesdienste waren Ziel des „Auslautens“ der in benachbarten Orten wohnenden Evangelischen, die sich der seelsorgerlichen Betreuung durch den jeweiligen katholischen Geistlichen entziehen wollten. Über seine Tätigkeit in Mörbisch ist sonst nichts bekannt. Es scheint nur so zu sein, daß ihn die fortschreitende Gegenreformation bald nach 1582 auch vertrieben hat.

Weder über seine Arbeit in Draßmarkt noch auch in Oberschützen sind bisher Angaben möglich, die über die Eintragungen in seiner Familienbibel hinausgehen, wenn man von der Mitteilung der Taufpaten für seine einzelnen Kinder absieht. Bei der Taufe seines zweiten Sohnes aus zweiter Ehe war am Sebaldustag (19.August) 1586 auch der Pfarrer Andreas Pfäntner aus Neckenmarkt mit seiner Frau Taufpate. Die Tochter Ursula ist am 15. Mai 1588 bereits in Oberschützen geboren; der herrschaftliche Bergamtsverweser aus Neustift/Bergwerk war Taufpate.

Ein wenig mehr sagt vielleicht der Wahlspruch über dem Exlibris Lantz‘ aus, der, ins Deutsche übersetzt, lautet: „Christus, dich will ich, dich begehre ich, dich liebe ich, dich erwarte ich; du bist mir Gesetz, König, Licht, Führer und Richter.“ Natürlich kann man darin nicht sehr viel mehr als eine gewisse Beziehung auf den alleinigen Erlöser Jesus Christus herauslesen. Immerhin aber ist es doch eindeutig reformatorisches Bekenntnis, das Lantz hier ablegt.

Zeuge des Evangeliums sein hat für diesen Prediger auch bedeutet, um Jesu willen in die Fremde zu ziehen und mitsamt seiner Familie immer wieder Heimat und Wirkungsstätte zu verlassen, hat für ihn bedeutet, um Jesu willen die irdischen Sicherheiten aufzugeben und ein “exul Christi“ zu sein. Er steht damit in der Geschichte der evangelischen Kirche in Österreich gewiß nicht allein da; bis zu Josef Schaitberqer, der dann solches Erleben in die bekannten Verse brachte, waren es viele. Liest man aber die nüchternen Angaben in der Bibel des Veit Lantz, dann entdeckt man, was solches Exil-Christ-Sein bedeutet haben mag. Vor allem wird einem deutlich, daß die vierte Strophe von Luthers Reformationslied : „Ein feste Burg“ damals für viele handgreifliche Wirklichkeit war, die am reformatorischen Bekenntnis festhalten wollten: „Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr‘, Kind und Weib, laß fahren dahin, sie haben’s kein Gewinn. Das Reich muß uns doch bleiben.“

 

Aus: Glaube und Heimat 1986, S. 33-34.